Monika: Heute habe ich das Vergnügen, mit Nora Dahmer zu sprechen, einer deutschen Geschäftsfrau und Transgender-Aktivistin aus dem Rheinland und der Autorin von „Endlich Nora!: Aus einem Transgenderleben“. Hallo Nora!
Nora: Hallo Monika, schön dich kennenzulernen.
Monika: Kannst du ein paar Worte zu deiner Person sagen?
Nora: Mein Name ist Nora und ich bin 60 Jahre alt. Seit fast 3 Jahren lebe ich als Frau in der Gesellschaft. Ich habe zwei erwachsene Kinder. Als Freelancer berate ich Unternehmen in strategischen Fragestellungen. Gleichzeitig halte ich Vorträge an Schulen und in Unternehmen für Lehrer und Führungskräfte zum Thema LGBTQIA+.
Monika: Was hat dich dazu inspiriert, „Endlich Nora!: Aus einem Transgenderleben“ (2022) zu schreiben?
Nora: Mit der Entscheidung, mein Leben zu ändern, habe ich mich hingesetzt und alles für mich überprüft. Dann habe ich praktisch während meiner Transition von dem Moment an, als ich herauskam, eine Art Tagebuch für mich geführt. Ich merkte, wie viel mit mir und meinem Umfeld passierte und beschloss, aus meinen Tagebüchern ein Buch zu schreiben. Ziel war es, anderen Menschen zu helfen und die Hintergründe zu erklären.
Monika: Warum hast du Nora als deinen Namen gewählt?
Nora: Dieser Name war ein Geschenk meiner Ex-Frau an dem Tag, an dem ich mich outete. Da ich nie zuvor ein Doppelleben geführt hatte, gab es eigentlich keinen Namen für mich.
"Alle Mitglieder meiner Familie, egal welcher Generation, waren sehr überrascht." Foto von Monika Plump. |
Wir alle zahlen den höchsten Preis für die Erfüllung unserer Träume, wir selbst zu sein. Infolgedessen verlieren wir unsere Familien, Freunde, Jobs und sozialen Positionen. Hast du auch so einen hohen Preis bezahlt? Was war das Schwierigste an Ihrem Coming-out?
Nora: Zum Glück hatte ich keine Probleme mit meinem privaten Umfeld. Alle waren sehr überrascht, ließen mich aber nie im Stich. Leider geht es vielen anderen Menschen in solchen Situationen viel schlechter und ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich von Diskriminierungen verschont geblieben bin.
Monika: War Ihre Familie von Ihrer Verwandlung überrascht?
Nora: Alle Mitglieder meiner Familie, egal welcher Generation, waren sehr überrascht. In meinem früheren Leben habe ich alles dafür getan, dass niemand etwas vermuten konnte.
Monika: Bist du mit der Wirkung der Hormonbehandlung zufrieden?
Nora: Die Hormontherapie verlief für mich wirklich überraschend gut. Die gewünschten Effekte (Haut, Brustbildung usw.) stellten sich trotz meines Alters sehr schnell ein. Inzwischen ist das Thromboserisiko deutlich gestiegen und ich hatte das Glück, eine Lungenembolie zu überstehen. Aber im Großen und Ganzen komme ich damit zurecht. Man sollte die vielen Nebenwirkungen nicht unterschätzen und muss daher immer sehr präventiv und aufmerksam agieren.
Monika: Man sagt, wir seien Gefangene des Passing- oder Non-Passing-Syndroms. Obwohl Schönheitsoperationen helfen, sie zu überwinden, werden wir immer danach beurteilt. Wie können wir damit umgehen?
Nora: Wenn man noch nicht mit sich im Reinen ist, braucht man sicherlich die nötigen kleinen Schritte wie die Laserepilation und den ein oder anderen kleinen Schönheits-OP. Kehrt das Selbstbewusstsein nach der Pubertät jedoch hormonbedingt zurück, sollte man nur die Schritte unternehmen, die man unabhängig von Dritten für sich selbst gehen will. Wichtig ist, dass du mit dir im Reinen bist. Gerade Menschen, die spät in der Transition sind, müssen lernen, damit zu leben, dass ewige Jugend und Ideale keinen Einzug in die Realität halten.
"Als Mann war es für mich eher Pflicht, gepflegt auszusehen. Jetzt ist es ein Vergnügen." Foto von Monika Plump. |
Monika: Erinnerst du dich an das erste Mal, als du eine Transgender-Frau im Fernsehen gesehen oder jemanden persönlich getroffen hast, der dir die Augen geöffnet hat und dir ermöglicht hat, zu erkennen, wer du bist?
Nora: Ich wusste von klein auf, dass ich ein Mädchen bin. Aber ich hatte keine Erklärung. In den 1970er Jahren gab es außer den gesellschaftlich etablierten Stereotypen und Vorurteilen kein öffentlich bekanntes Wissen über Transgender-Personen. Erst 2010 erfuhr ich durch Zufall, dass es Transsexualität gibt und was sie eigentlich bedeutet. So begann ich zu verstehen, warum ich mich als heterosexueller biologischer Mann immer noch als Frau fühlte.
Monika: Gibt es irgendwelche Transgender-Vorbilder, denen du folgst oder gefolgt bist?
Nora: Zu Beginn meiner Transition habe ich viel recherchiert und viel über andere Transgender-Personen im Internet gelesen. Aber in meinem Alter entschied ich mich, meinen eigenen Weg zu gehen, da es wenig Gemeinsamkeiten mit vielen anderen Transgender-Menschen gab, mit denen ich mich identifizieren konnte.
Monika: Was denkst du über die gegenwärtige Situation von Transgender-Frauen in deinem Land?
Nora: Ich glaube, dass die Situation in Deutschland einerseits viel besser ist als in vielen anderen Ländern der Welt. Und nur weil ich persönlich keine negativen Erfahrungen machen muss oder einfach nicht an mich ran lassen muss, heißt das nicht, dass das grundsätzlich so ist. Viele Transgender-Menschen, insbesondere die jüngeren, haben im Alltag mit massiver Diskriminierung zu kämpfen. Deshalb engagiere ich mich auch sehr für die Aufklärung von Cis-Menschen, damit Ignoranz abnimmt und Vorurteile abgebaut werden. In Deutschland gibt es also auch noch viel zu tun und die Situation ist alles andere als ideal.
Monika: Magst du Mode? Was für Klamotten trägst du normalerweise? Irgendwelche besonderen Modedesigns, Farben oder Trends?
Nora: Am Anfang meiner Umstellung war es mir sehr wichtig, dass das Outfit feminin ist. Trotzdem habe ich immer darauf geachtet, dass es unaufdringlich und angemessen ist. Die Verunsicherung der anderen Leute bei der Begegnung mit mir war schon groß genug. Ich muss nicht mit ausgefallener Kleidung auffallen. Aber es hat mir viel Spaß gemacht, neue Klamotten zu bekommen. Als Mann war es für mich eher Pflicht, gepflegt auszusehen. Jetzt ist es ein Vergnügen. Im Alltag kleide ich mich lässig, aber zu bestimmten Anlässen und im Beruf kleide ich mich den Rahmenbedingungen entsprechend. Für die Oper zum Beispiel gibt es auch mal etwas richtig Festliches.
"Erst vor wenigen Wochen habe ich mein erstes Presseinterview als Frau im beruflichen Kontext gegeben." Foto von Monika Plump. |
Monika: Übrigens, magst du es, für dein Aussehen gelobt zu werden?
Nora: Wie wohl auch alle anderen Menschen freue ich mich über jedes Kompliment. In unserem Land sind viele Menschen unsicher, ob sie uns Komplimente machen sollen. Da es nicht nur um die Kleidung, sondern um das Gesamterscheinungsbild geht, und dieses noch ausreichend maskuline Züge aufweist, haben viele Menschen die Sorge, dass ein Kompliment nicht ehrlich, sondern aufgesetzt wirkt.
Monika: Erinnerst du dich an dein erstes Presseinterview als Frau?
Nora: Erst vor wenigen Wochen habe ich mein erstes Presseinterview als Frau im beruflichen Kontext gegeben. Natürlich ging es dem sehr offenen Gesprächspartner auch um den Übergang und er wollte von mir erfahren, welche Auswirkungen mein Coming-out auf mein berufliches Umfeld hat.
Monika: Was würdest du allen Transfrauen raten, die eine Anstellung suchen?
Nora: Es ist sicherlich immer sehr stark abhängig von dem Beruf, in dem man arbeiten möchte. Aber grundsätzlich hat man die gleichen Rechte wie alle anderen und man sollte sich nicht unter Druck setzen. Sicherlich wird es deutlich mehr Absagen von Bewerbungen geben, aber mit Geduld sollte man den passenden Job finden. Man muss den richtigen Weg zwischen eigenem Anspruch und beruflicher Realität finden und sich vor allem von Rückschlägen nicht aus der Bahn werfen lassen und geduldig sein. Das ist einfacher gesagt als getan.
Monika: Beteiligst du dich am Leben der lokalen LGBTQ-Community?
Nora: Ich bin nicht direkt in der LGBTQIA+ Community aktiv. Ich sehe mich eher als Brücke zwischen Cis-Menschen und der Community und möchte mit meinem Management-Wissen auch Vorurteile abbauen und Hürden abbauen. Dafür gehe ich in Unternehmen und Berufsschulen, um Lehrer und Führungskräfte zu informieren und über LGBTQIA+ aufzuklären. Denn wenn diese Multiplikatoren durch meine Workshops lernen, dass wir alle ganz normale Menschen sind, können sie ihren Studierenden oder Mitarbeitern gegenüber vielleicht viel offener und respektvoller sein.
Monika: Kannst du mir etwas über die Bedeutung der Liebe in deinem Leben erzählen?
Nora: Wenn Liebe Menschlichkeit bedeutet, bin ich heute viel empathischer als früher. Ich versuche mich in andere Menschen einzufühlen und sie zu respektieren. Es gibt Liebe für mein ganzes familiäres Umfeld und meine Freunde. Körperliche Liebe spielt für mich seit der Umstellung keine bedeutende Rolle mehr, zumindest aktuell nicht. Als jetzt lesbische Frau muss ich mich nicht auf neue Beziehungen einlassen.
Monika: Was ist dein nächster Schritt in der jetzigen Zeit und wo siehst du dich in den nächsten 5-7 Jahren?
Nora: Ich genieße einfach die neue Lebensweise und bin endlich ich. Ich genieße die Situation jeden Tag. Mit meinen Workshops merke ich, dass ich vielen Menschen helfen und Unsicherheiten nehmen kann. Das bedeutet mir sehr viel und wird mich in den kommenden Jahren intensiv begleiten.
Andererseits bin ich mittlerweile in einem Alter angekommen, in dem ich das Leben und zum Beispiel mein Hobby Golf genießen möchte. Das Reisen, was ich als Mann sehr gerne gemacht habe, reduziert sich als Transgender nun auf Regionen der Welt, in denen man sich ohne Angst und negative Gefühle aufhalten kann. Nicht viele Ecken der Welt sind wirklich sicher.
Monika: Was würdest du allen Transgender-Frauen empfehlen, die Angst vor dem Übergang haben?
Nora: Wenn du fest davon überzeugt bist, im anderen sozialen Geschlecht zu Hause zu sein, solltest du keine Angst vor der Zukunft haben und den Schritt wagen. Wenn du es nicht tust, wird das Leben auch nicht besser. Es ist eine große Belastung, unter der falschen Identität zu leben, und was auch immer die Umstände sind, du solltest es tun. Das ist natürlich von Person zu Person und Lebensumfeld sehr unterschiedlich. Ich kann nur für mich sprechen und für mich war es der goldene Schritt. Man sollte die Reise nach Möglichkeit nicht ohne psychologische Unterstützung antreten. Wir sind nicht aufgrund unserer Identität psychisch krank, aber es kann aufgrund der Überforderung dazu führen, sofern man nicht gut versorgt wird.
Monika: Meine Brieffreundin Gina Grahame schrieb mir einmal, dass wir unser Potenzial nicht einschränken sollten, weil wir biologisch anders geboren wurden oder was wir bei anderen Transgender-Menschen sehen. Unsere Träume sollten nicht auf einem Operationstisch enden; da fangen sie an. Stimmst du dem zu?
Nora: Ob es der OP-Tisch sein muss, kann ich nicht beurteilen. Leben wir aber in der falschen Identität, kostet uns das viel Kraft und ein Recht auf ein ganz persönliches Bedürfnis nach sich selbst bleibt verborgen. Egal welche Schritte du als Transgender gehst, jeder Schritt näher zu dir selbst ist ein richtiger Schritt. Welche physikalischen Wege dafür beschritten werden, bleibt jedem Menschen und seinem persönlichen Wunsch überlassen.
Monika: Nora, es war mir eine Freude, dich zu interviewen. Vielen Dank!
Nora: Vielen Dank, dass du mir die Möglichkeit gibst, mich hier zu äußern. Vielen Dank!
Alle Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Nora Dahmer.
Alle Fotos von Monika Plump.
© 2023 - Monika Kowalska
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