Interview mit Nora Eckert - Teil 2


Monika: Du arbeitest an einem Projekt zur Geschichte der Transgender-Bewegung in Deutschland. Gibt es so etwas wie einen symbolischen Beginn der Transgender-Community oder zumindest die ersten Transgender-Frauen, die es wagten, die Gesellschaft herauszufordern?
Nora: Die ersten Transgender-Frauen, die in die Öffentlichkeit gingen, um für die Rechte von Transmenschen einzutreten, gab es in den 1970er Jahren. Zu erinnern wäre hier an Gerda Hofmann, die damals mit Ihrem Auftritt in einer Talk Show Aufsehen erregte, aber auch sehr viel Sympathie erntete für ihre berechtigten Forderungen nach einer gesetzlichen Regelung.
Wir waren wohl eine zu kleine Gruppe, um uns schon damals zu organisieren. Organisationen bildeten sich erst in den 90er Jahren und dann vor allem nach der Jahrtausendwende. Bis dahin waren es immer einzelne, sehr mutige Personen, die für eine menschenrechtskonforme Trans*Politik eintraten und diese auf dem Gerichtsweg erstritten haben.
Die Erforschung der Trans*Geschichte in Deutschland nach 1945 ist jedenfalls dringend nötig. Sie fehlt bisher. Ich bin fest entschlossen, diese Lücke zu schließen. Es wartet sehr viel Arbeit auf mich, die ich aber gerne mache, denn diese Geschichte erzählt schließlich von unserer Emanzipation und unserem Kampf um Gleichberechtigung.
Monika: Und Jean Lessenich, Jeanette Schmid und Charlotte von Mahlsdorf? Ich dachte, du würdest auch ihre Namen erwähnen.
Nora: Die Frage war ja, welche Bedeutung Personen für die Transgender-Bewegung hatten und haben, also ob sie in einem politischen Sinne aktivistisch unterwegs waren und sind. Natürlich könnte man noch sehr, sehr viele Namen von Transmenschen nennen, die den Weg in die Öffentlichkeit fanden und beispielsweise künstlerisch arbeiteten oder vielleicht einfach nur auf ihre Art Lebenskünstler*innen waren. Wir sollten dabei schon auch im Blick haben, ob sich eine Person aktiv für die Rechte von Transmenschen einsetzt. Andererseits setzen wir schon allein durch unser Leben auch ein politisches Statement, indem wir ganz unmittelbar unser Existenzrecht behauupten.

"Das Internet ist für unsere Sache sehr hilfreich. Es ermöglicht eine
weltweite Wissensvermittlung und solidarische Vernetzung."

Monika: Was wissen wir über die Transgender-Bewegung in Ostdeutschland unter dem kommunistischen Regime?
Nora: Wenig. Ich hoffe allerdings mit meiner in Arbeit befindlichen Trans*Gescbichte BRD/DDR ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
Monika: In den 90ern sehen wir immer mehr Transgender-Frauen, die im deutschen Showbusiness erfolgreich sind. Gloria Gray ist ein gutes Beispiel.
Nora: Richtig, aber noch interessanter finde ich die Tatsache, dass es heute überall Transmenschen in künstlerischen Berufen gibt, ohne dass sie daraus einen großen Karneval veranstalten müssen. Es gibt Transmänner und Transfrauen, die beim Film, im Theater und als Musiker*innen arbeiten und übrigens auch auf der Opernbühne. Wichtig scheint mir dabei, dass es zu einer Selbstverständlichkeit wird.
Monika: Was denkst du über die Auswirkungen des Internets auf die Situation der Transgender-Community?
Nora: Das Internet ist für unsere Sache sehr hilfreich. Es ermöglicht eine weltweite Wissensvermittlung und solidarische Vernetzung. Ohne Internet gäbe es sicherlich dieses Interview nicht.
Monika: Wir stehen vor einem weiteren Zeitgeist, nämlich einem beispiellosen Anstieg der Zahl von Transgender-Teenagern, die Pubertätsblocker voranbringen können, zum Beispiel Kim Petras?
Nora: Ich glaube nicht, dass das nur ein Zeitgeist ist. Es hängt wohl vor allem damit zusammen, dass es heute mehr Orte und Länder gibt, wo wir frei leben können und akzeptiert werden. Trans*Kids können heute benennen, was sie sind und was ich zum Beispiel in meiner Kindheit und Jugend nicht konnte. Eine Ahnung, dass ich irgendwie anders bin als die anderen, die hatte ich, aber ich hätte einfach nicht sagen, was es genau ist. Mit 22 Jahren wusste ich es endlich. Darum beneide ich die Trans*Kids, die mit ihrem richtigen Leben viel früher beginnen können.
Was die Frage von Pubertätsblockern und auch Hormontherapien angeht, nun, das kann wohl nur individuell entschieden werden, denn das Trans*Sein ist ja keine neue "Norm" und wird sehr unterschiedlich gelebt. Wir Menschen sind da nun mal sehr divers "gestrickt". Wichtig scheint mir, Trans*Kids ernstzunehmen.

"Unsere Geschichte sollte Teil unseres
Selbstbewußtseins sein."

Monika: Andererseits konnte ich keinen deutschen Transgender-Politiker finden.
Nora: Ein Name fällt mir hier sofort ein: Tessa Ganserer. Sie ist bei den Grünen und ist Abgeordnete des Bayerischen Landtags in München. Sie kandidiert im September als Grünen-Politikerin für den Deutschen Bundestag und sie hat gute Chancen, die erste Transfrau im Bundestag zu werden. Die Grünen-Partei hat schon vor vielen Jahren einen vernünftigen Gesetzentwurf als Nachfolge für das im Grunde skandalöse Transsexuellengesetz (TSG) vorgelegt. Der Leitgedanke darin ist die Selbstbestimmung - und die brauchen wir Transmenschen endlich in Deutschland.
Monika: Wann können wir mit der Veröffentlichung Deiner Geschichte der Transgender-Bewegung rechnen?
Nora: Das wird noch dauern. Ich hoffe bis Ende des Jahres ein Exposé und vielleicht schon ein oder zwei Kapitel als Leseprobe fertig zu haben. Aber ich muss noch sehr, sehr viel recherchieren. Allerdings habe ich auch schon interessantes Material gefunden, das noch nicht publiziert wurde. Ich bin mit großem Enthusiasmus bei der Arbeit, denn eine Trans*Geschichte BRD/DDR gibt es noch nicht und sie ist ein wichtiger Teil der Gesellschaftsgesellschaft. Unsere Geschichte sollte Teil unseres Selbstbewußtseins sein. 
Monika: Kann ich nach Erscheinen des Buches noch ein Interview mit dir buchen?
Nora: Aber gerne!
Monika: Nora, vielen Dank für diese Gelegenheit, mit Dir zu sprechen.
Nora: Es war mir eine Freude, Dich kennengelernt zu haben.

Hauptbild: Ralf Günther (07.04.21)
Alle Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Nora Eckert.
© 2021 - Monika Kowalska



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