Interview mit Nora Eckert


Monika: Heute fahren wir nach Berlin in Deutschland, wo ich Ihnen eine inspirierende Frau aus Deutschland vorstellen möchte. Nora Eckert, geboren am 14. März 1954 in Nürnberg, ist eine bekannte deutsche Kulturjournalistin und Theater- und Opernkritikerin. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher und Artikel über deutsche Kulturveranstaltungen. Ich werde mit ihr über ihre kürzlich erschienene Autobiografie „Wie alle, nur anders. Ein transsexuelles Leben in Berlin“ sprechen, über die Geschichte der deutschen Transgender-Bewegung und über ihren eigenen Weg zur Frau. Hallo Nora!
Nora: Hallo Monika, schön dich kennenzulernen!
Monika: Wie geht es dir in diesen verrückten Pandemiezeiten?
Nora: Das sind wirklich verrückte Zeiten. So etwas haben wir alle noch nicht erlebt. Ich versuche aber trotz all der Einschränkungen so "normal" wie möglich zu leben. Natürlich halte ich mich an die Regeln. Glücklicherweise bin ich nicht nur ein kulturinteressierter Mensch, sondern auch ein naturverliebter. Während die Theater, Museen, Konzertsäle, Kinos geschlossen waren, konnte ich wenigstens wandern gehen. Es gibt wunderschöne Landschaften rund um Berlin und das Laufen tut meiner Gesundheit sehr gut!
Monika: Könntest du ein paar Worte zu deiner Person sagen?
Nora: Ein wenig hast du mich ja schon vorgestellt. Ich bin nicht in Berlin geboren, aber lebe hier seit 48 Jahren. Für mich war diese Stadt Liebe auf den ersten Blick, obwohl damals 1973 Berlin noch geteilt war und ganz anders aussah als heute.
Ich war 22, als ich endlich meine weibliche Identität entdeckt hatte, und obwohl die 70er Jahre für uns Transmenschen noch nahezu recht- und therapielose Zeiten waren, konnte ich meinen Weg ins Frausein ganz unbehelligt gehen. In dieser Stadt galt eigentlich immer schon ein Laissez-faire, das mir und meinen Freundinnen das Leben ziemlich leicht gemacht hat.

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Meine Transition startete ich damals in dem berühmten Travestiecabaret "Chez Romy Haag" und damit befand ich mich zugleich inmitten der kleinen, aber feinen Trans*Community von West-Berlin. Das war einfach eine tolle Atmosphäre. Doch irgendwann war klar, ich muß wieder aus dem Nachtleben raus. Das hatte ich dann 1984 geschafft. Ich hatte einen Bürojob gefunden und parallel dazu startete ich meine journalistische "Karriere".
Monika: "Chez Romy Haag" wurde von Romy Haag gegründet, einer berühmten niederländischen Tänzerin, Sängerin, Schauspielerin. Sie war da gerade 26 Jahre alt. Bekannt wurde sie auch als ehemalige Geliebte und Muse von David Bowie während seiner Berliner Jahre. Ich habe gehört, dass sie die Kabaretts des alten Westberlins nicht sehr mochte, weil sie elitär und völlig überteuert waren. Ist es wahr?
Nora: Ja, das stimmt. Sie wollte vor allem ein junges Publikum. Ihr Cabaret war 1974, als sie es gründete, etwas völlig Neues in seiner Art. Es war Diskothek und Kneipe mit einer Showbühne. Auch die Show war etwas völlig Neues. Das waren nicht die sonst üblichen Star-Imitationen, sondern Romy hat kleine musikalische Sketche erfunden als Playbacknummern. Das war so in der Art wie heute die Videoclips. Das kam beim Publikum sehr gut an und wir hatten tatsächlich ein sehr gemischtes Publikum, auch die Community fühlte sich bei uns wohl. Vor allem kamen auch immer wieder Stars zu uns. Wir brauchten natürlich auch das Geldpublikum, denn auf der Bühne traten in den besten Zeiten bis zu elf Artisten auf. Die mussten schließlich bezahlt werden.
Monika: Wie hast du dort einen Job bekommen? Hast du getanzt und gesungen?
Nora: Nein, ich habe nicht auf der Bühne gearbeitet. Ich hatte meine One-Woman-Show an der Eintrittskasse und Gästegarderobe. Ich ging damals einfach zum Geschäftsführer und fragte ihn, ob er Arbeit für mich habe. Es hatte nicht sofort funktioniert, aber im April 1976 konnte ich dort anfangen.

Im Grünen Salon der Volksbühne Berlin.

Monika: Romy Haag war eine der ersten Transgender-Frauen, die es geschafft haben, im Showbusiness erfolgreich zu sein. Hattest du die Möglichkeit, eng mit ihr zusammenzuarbeiten? Hat sie Abstand zu ihren Mitarbeitern gehalten?
Nora: Ich glaube wir hatten ein ganz gutes Verhältnis, aber sie war eben meine Chefin. Und da ich nicht auf der Bühne arbeitete, behielten wir immer ein wenig Abstand. Romys Kontakt zu den Artisten war dagegen sehr intensiv, denn erstens standen sie zusammen auf der Bühne und zweitens führte Romy auch Regie. Eine gute Zusammenarbeit war da sehr wichtig, um diese phantastischen und sehr perfekten Shows zu schaffen.
Monika: War es Zufall, dass du das Kabarett verlassen hast, als Romy Haag den Nachtclub verkauft hat?
Nora: Ich war nur vier Jahre im "Chez Romy Haag" und wechselte 1980 meinen Job. Ich hatte danach zwei Jahre als Animierdame in Bars am Stuttgarter Platz gearbeitet. Mein Passing als Transgender-Frau war sehr gut, und ich wollte mich sozusagen als Frau beweisen. Das ist mir gelungen. Allerdings sah ich schon bald, dass dieser Job keine Zukunftsperspektive für mich bot. Also wollte ich da raus und das ist mir dann auch gelungen. Trotzdem war es eine interessante Erfahrung.
Monika: Wie groß war die Transgender-Community in Berlin? War es eine homogene Gruppe?
Nora: Unsere Community war in den 70er Jahren eher klein. Wieviele wir genau waren, kann ich gar nicht sagen - ich kannte persönlich oder durch Erzählungen höchstens 20 Transfrauen. Und diese Gruppe war sicherlich homogener als die Trans*Community heute. 
Heute gibt es ein Spektrum von Selbstdefinitionen und Lebensweisen. Was ich übrigens sehr gut finde, denn wir verkörpern, ob trans* oder nicht, immer eine Individualität. Jeder Mensch ist auf seine Weise einmalig und trans* bedeutet für mich jedenfalls keine neue Norm. Wir leben es "As you like it" - wie es bei Shakespeare so schön heißt.
Monika: Ich gehe davon aus, dass die Ärzte damals noch nicht allzu viel über das Transgender-Phänomen wussten. Wie bekamen Frauen Hormone und Operationen? Woher wussten sie von der Dosierung und so weiter? 
Nora: Richtig, die Medizin wusste damals nicht sehr viel über uns. Die Kunst bestand darin, einen Arzt zu finden, der einem Rezepte für Hormone ausstellt. Progynon Depot 100 war unsere "Lieblingsdroge". Irgendeinen Arzt fanden wir alle, wir hatten alle unseren Rezeptlieferanten. Da wir in therapeutischer Hinsicht Pionierinnen waren, also zum Beispiel unsere eigenen Endokrinologinnnen, haben wir Hormone entweder nach Gefühl genommen oder wir haben uns bei der Dosierung nach dem Beipackzettel gerichtet. Wir waren wirklich sehr selbständig in allen Belangen.

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Operiert wurde seit den 50ern. Ich möchte nur an den berühmt-berüchtigten Dr. Burou in Casablanca erinnern. In den 70ern wurde dann auch an deutschen Universitätskliniken operiert, aber man musste dafür selbst zahlen. Für alles mussten wir selbst zahlen, für Hormone, für Epilation, für sämtliche plastische Chirurgie usw. Aber man konnte alles bekommen.
Allerdings waren die wenigsten Transgender-Frauen operiert. Es gab unter uns sogar eine starke Ablehnung von geschlechtsangleichenden Operationen. Die Meinungen hatten sich erst in den 80er und 90er Jahren geändert und seither herrscht ein regelrechter Operationsoptimismus. Für mich war das nie eine Option, denn ich bin bis heute davon überzeugt, dass man in und mit jedem Körper Frau sein kann. Ich sehe mich da als Beweis. Körperliche Intaktheit empfand ich lebensnotwendig für mich.
Monika: Wusstest Du schon, nachdem Du aufgehört hast, als Animierdame zu arbeiten, dass Du Kulturjournalistin werden möchten?
Nora: Der Wunsch war sofort da.
Monika: Als Mädchen ohne Abitur wolltest Du plötzlich über das "hochkulturelle" Nachtleben der Stadt schreiben: Theater, Oper, Konzert. Es ist erstaunlich! Wie hast Du so viel über Oper und Theater gelernt?
Nora: Schon seit meiner Schulzeit interessierte ich mich für die Künste und wusste immer schon mehr darüber als die meisten anderen. Auch das Schreiben war eine frühe Leidenschaft von mir. Ich fing an, mich speziell über Opern-, Musik- und Theatergeschichte zu informieren und habe eine ganze Bibliothek leergelesen. Das Lesen gehört übrigens auch zu meinen Passionen. Ich glaube, man trifft mich nie ohne Buch an. Gut, ich war Autodidaktin, aber beim Schreiben zählt das Können. Und da habe ich offenbar alle überzeugen können - auch mit meinem Wissen.
Monika: Du hast es geschafft, Dich von einer Garderobiere in eine hochangesehene Opernkritikerin zu verwandeln, eine Frau, die als Opernguru gilt. Erinnerst Du Dich an ein Ereignis oder eine Episode, die Dich in diese erfolgreiche Karriere katapultiert hat?
Nora: Nein, diese Karriere war kein Sprint, sondern ein Marathonlauf. Das waren am Anfang ein paar Berichte über Kunstausstellungen, dann kamen Buchbesprechungen hinzu und schließlich hatte ich mir die Oper als Spezialgebot erobert. Das alles ging step by step, bis ich Ende der 80er Jahre bei Zeitschriften und Zeitungen gut etabliert war. Ich war in meinem Leben immer schon auf meine Art eine Self-Made-Woman.
Monika: Was hat dich dazu inspiriert „Wie alle, nur anders. Ein transsexuelles Leben in Berlin“ zu schreiben? Deine vorherigen 5 Bücher handelten von Kultur und Kunst.
Nora: Da kam 2018 einiges zusammen. Zunächst einmal kam die Rente in Sicht und die damit verbundene Frage, wie ich meinen letzten Lebensabschnitt gestalten soll nach dem Ende der Berufstätigkeit. Gleichzeitig beschäftigte ich mich damals mit meiner Vergangenheit, und zwar aus dem banalen Grund, indem ich endlich anfing, mein privates Archiv in Ordnung zu bringen. Ich wurde mit meiner Vergangenheit konfrontiert, was mich sehr bewegte und manchmal auch irritierte.
Ich begann auch, mich mit meinem Trans*Sein wieder zu beschäftigen. Ich lebte bis dahin als nicht geoutete Transfrau und plötzlich hatte ich ein Bedürfnis mein Trans*Sein sichtbar zu machen. Aus all diesen Fragen entstand schließlich das Bedürfnis, mir Klarheit über mein Leben zu verschaffen. Ich begann, meine Autobiografie zu schreiben.

Weitere Informationen zu Nora Eckert finden Sie auf ihrer Website.

Monika: Du bist auch Transgender-Aktivistin. Du bist aktives Mitglied bei TransInterQueer e.V. (TrIQ) und Mitglied des Vorstandes. Für TrIQ moderierst Du in Kooperation mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz die Gesprächsreihe „TransInterQueerer Salon“. Könntest Du ein paar Worte zu dieser Initiative sagen?
Nora: Die Idee dazu hatte ich Anfang 2019. Ich wollte mich mit interessanten Transmenschen unterhalten und dazu Publikum einladen. Unterhalten wollte ich mich über ihre Biografien, über ihr Selbstverständnis als Trans*Person und auch über ihre Talente und Berufe. Die Volksbühne fand diese Idee wunderbar und hat uns für zwei Spielzeiten eine Bühne geboten.
Im Herbst 2021 startet ein neues Leitungsteam am Haus und das hat leider andere Pläne für den Grünen Salon, wo die Gespräche bisher geführt wurden. Die Gespräche sollen jetzt anderswo fortgesetzt werden und bin deshalb gerade in Verhandlung mit einer anderen Bühne hier in Berlin. Mal sehn, was daraus wird.

ENDE von TEIL 1

 
Hauptbild: Ralf Günther (07.04.21)
Alle Fotos: mit freundlicher Genehmigung von Nora Eckert.
© 2021 - Monika Kowalska


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